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Die 28-jährige Carolin Kimm (rechts) hat eine dreijährige Lehre bei Stuckateurmeister Jochen Siebert (Mitte) in Ehringen absolviert. Ihre Ausbildung hat sie als Innungsbeste im Landkreis Kassel beendet und den Landeswettbewerb im Stuckateurshandwerk gewonnen. Nun macht sie sich auf die Walz. In den ersten Wochen wird sie dabei von der Tischlergesellin Lea aus Brandenburg (links) begleitet. © Elmar Schulten
Als Jahrgangsbeste hat die 28-jährige Carolin Kimm aus Schauenburg-Martinhagen eine dreijährige Lehre bei Stuckateurmeister Jochen Siebert in Ehringen absolviert. Wenige Tage vor Weihnachten hat sie sich nach alter Handwerkstradition auf eine dreijährige Walz begeben.
Volkmarsen-Ehringen – Gemeinsam mit der erfahrenen Wandergesellin Lea aus Brandenburg hat sie zunächst die 50 Kilometer Bannmeile um ihren Heimatort erwandert. Näher darf sie Schauenburg in den nächsten drei Jahren nicht kommen. So sind die Regeln.
Auch auf ihr Handy und ihr Konto darf sie während der Wanderjahre nicht zugreifen. Sie wird sich Arbeit suchen in ihrem Handwerk oder einem artverwandten und mit ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen.
„Sie wollte nichts geschenkt“
Schlafen wird sie in Scheunen oder in Unterkünften ihrer wechselnden Arbeitgeber und dabei eine Menge fürs Leben lernen. In den ersten Wochen und Monaten unterwegs wird sie Tipps und Kniffe von ihrer Begleiterin Lea lernen und irgendwann alleine ihren Weg finden.
„Carolin, du schaffst das“, sagt ihr Lehrmeister Jochen Siebert, der seine Gesellin als äußerst zielstrebig kennengelernt hat: „Sie hat Durchsetzungswillen und Zähigkeit. Sie wollte sich nicht einmal das erste Lehrjahr schenken lassen. Als Abiturientin mit abgeschlossenem BWL-Studium hätte Carolin eigentlich nur zwei Lehrjahre im Handwerk absolvieren müssen. Doch sie wollte alles mitnehmen und lernen.“
Buchhaltung auf Dauer zu langweilig
Nach ihrem Studium arbeitete sie in einer Buchhaltung. Dabei merkte sie, dass sie viel lieber mit ihren Händen arbeitet. Ihr Lehrmeister und ihre Ausbilder an der Berufsschule bestätigen, dass ihre Entscheidung richtig war: Lauter Einsen stehen im Abschlusszeugnis. Damit verbunden war sie Innungsbeste und die Einladung zum Berufswettbewerb auf Landesebene war ihr sicher. Hier gewann sie souverän.
Carolin Kimm fühlt sich wohl im Stuckateurshandwerk. Besonders gefällt ihr die Arbeit in alten Häusern. Ihre letzte große Baustelle war ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus in der Ehringer Mittelstraße.
Unter einem guten Stern hat die Wanderschaft der 28-jährigen Carolin Kimm begonnen, die nach der dreijährigen Lehre bei Stuckateurmeister Jochen Siebert in Ehringen auf die Walz geht. © Elmar Schulten
Kann das ein Waldecker Stern sein?
Hier stieß sie auf viele alte, mehrfach überkleisterte Wanddekorationen und einen übermalten und beschädigten Stuckstern an einer Zimmerdecke. Mit viel Geduld und Geschick legte sie ihre Funde frei und konservierte sie so für die nächsten Generationen.
So können die heutigen Betrachter lange darüber nachdenken, ob dieser Stern vielleicht sogar ein Waldecker Stern sein könnte. Das wäre fast eine Sensation im ehemaligen Wolfhager Land. Gegen die Waldeck-Theorie spricht die Blume im Stern.
Ein Herz für Fachwerk
Als Handwerkerin sieht sie ihre Aufgabe darin, Bauherren bestmöglich zu beraten und das Beste aus den Häusern herauszuholen. Im Idealfall kommt so auch die Seele des Fachwerkhauses wieder zur Geltung. Dazu gehört die Verwendung alter Handwerkstechniken und Materialien. Gefache gehören ordentlich mit Lehmziegeln oder Flechtwerk ausgefüllt und dann mit Lehmputz überstrichen.
Im Haus Mittelstraße 5 hat Firma Siebert bewiesen, dass auch ein altes Fachwerkhaus optimal gedämmt und mit einer modernen Wärmepumpenheizung ausgestattet werden kann. Auf die Fachwerkmauer wurde eine Holzweichfaserplatte aufgebracht, darauf die flexiblen Rohre einer Wandheizung montiert. Lehmputz drüber und die gute Stube wird wohlig warm.
Wichtigste Werkzeuge im Gepäck
Bauherr Joachim Hartbaum hat dazu noch eine Photovoltaikanlage aufs Dach montieren lassen und im Keller einen Akkuspeicher aufgestellt. So wird das Haus aus dem Jahre 1739 im 21. Jahrhundert klimaneutral beheizt. Solche Baustellen gefallen der jungen Wandergesellin: Im Handwerk arbeiten alle zusammen und schaffen etwas Dauerhaftes.
Die wichtigsten Werkzeuge hat Carolin Kimm auf ihrer Walz dabei. Sollten größere Arbeiten anstehen, hat sie eine Nachsendekiste mit weiterem Handwerkszeug bereitgestellt.
Handyvertrag gekündigt
Ihre Ausrüstung auf der Walz ist sehr überschaubar: Carolin trägt eine beige Cordhose, dazu eine Cordweste und eine schwarze Jacke mit sechs knöpfen. Die Zahl sechs erinnert an die sechs Tage, an denen gearbeitet wird, eine Errungenschaft der Handwerker im Mittelalter.
An einer Uhrenkette trägt sie eine Taschenuhr mit Kompass und Wecker. gegen den Regen und zu viel Sonne schützt schwarzer Filzhut.
Ihren Handyvertrag hat sie gekündigt, alle wichtigen Kontaktadresse und Telefonnummern hat sie in einem einfachen Adressbuch notiert und dabei festgestellt, dass es diese Büchlein gar nicht mehr überall zu kaufen gibt. Man muss schon suchen. Das trifft auch für die Straßenkarten zu, mit denen sie sich grob orientieren will. (Elmar Schulten)